Clear Green Vinyl

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The question isn't "What are we going to do?", the question is "What aren't we going to do. (Ferris Bueller)

Dienstag, Februar 28, 2006

The Blue Notebooks Revisited Session, Take #1 (Understanding Lee Ranaldo)

Ranaldo, Lee; Gitarrist & Teilzeitsänger der Indie-Noiseband Sonic Youth

Als ich das erste mal das Backcover der Experimental Jet Set, Trash & No Star-LP sah, war ich ziemlich enttäuscht. Darauf sieht man den Probe- bzw. Aufnahmeraum von Sonic Youth. Die Band steht instrumentenbehangen da und schaut sich an. Bis dahin hatte ich die Vorstellung, Sonic Youth schreiben ihre Songs in Baugruben, in Gewitterstürmen, bei Nacht auf New Yorker Dächern oder bei ähnlich mysteriösen Ritualen. Und auf einmal: ein nüschterner, karger Proberaum. Zu allem Überfluss darunter der Spruch "Once the music leaves your head, it's allready compromised". Wieso das?! Ich wollte den direkten Draht zu den Köpfen dieser Typen! Mit dem Washing Machine Artwork und einer späteren Studiodokumentation, in der man sieht, wie Jim O'Rourke total verplant an Effektpedalen schraubt haben sie sich zwar wieder eine romantischere Aura geschaffen, das besprochene Backcover bleibt aber für immer ein rotes Tuch. Seltsamerweise befand sich gerade auf dieser LP kein einziger Lee Ranaldo Song.

Ich stelle mir Lee immer als jemanden mit einem großen Bekanntenkreis vor. Alles Leute die ihm sehr wichtig sind. Nur leider stimmt was nicht mit denen. Sie nehmen Drogen, werden wahnsinnig oder bringen sich um. Dadurch entstand bei ihm eine Art alles einnehmende Grundmelancholie, die dann auch seinen Songs anhaftet. Ich kann gar nicht zählen wie oft ich Stefan und Alex damals im Proberaum mit Mote oder Wish Fulfillment genervt habe. Aber ich wollte diese Songs einfach hören, weil sie so herzzerreißend und ergreifend sind, dass man sich in die Ecke werfen möchte. Um zu wissen worum es geht, muss man eigentlich nur einen Blick auf die Songtitel werfen. Es geht um Eric's und um Karen's (2mal!). U.a. natürlich nur. Auffällig ist auch, dass vielen seiner Tracks nach ca. 3min Song, eine sehr lange, meist unnachvollziehbare Noise-Collage folgt. Bei Mote bswp. hört man darin sehr deutlich, wie die Federn der Gitarrenbrücke knarren, wie als würden sie unheimlich stark angespannt. Pure, technische Verzweiflung! (wie theatralisch!) Nachdem er seine Gitarre fertiggemacht hat, hört man ihn förmlich erschöpft in der Ecke liegen. Kim übernimmt ab hier mit minimalistischem Bassspiel. Bei Karen Revisited verhält es sich ähnlich. Hier streut sein neuer (und inzwischen auch schonwieder ausgestiegener) Seelenverwandter Jim O'Rourke hallende Elektronika ein, die wie stimmlose Sätze Ranaldos klingen. Das legt alles folgende Vermutung nahe: Melancholiker, Studiobastler, alt. Erfrischend ist es daher zu sehen, dass er auf der Bühne kaum sojemanden darstellt. Er ist sich nicht zu fein, mal ein paar grenzwertig sinnfreie Ansagen oder Backing Vocals einzustreuen oder sich on stage wegzuhauen. Dieser Gegensatz wirkt aber nicht wie das Backcover desillusionierend sondern eher erleichternd. Und für die genialistische Darbietung des Beatles-Covers Within You Without you hat er sich bei mir sowieso noch ein Bienchen verdient. Lee Ranaldo, seit über 20 Jahren der coolste und lauteste Opa des Rock.