Clear Green Vinyl

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The question isn't "What are we going to do?", the question is "What aren't we going to do. (Ferris Bueller)

Dienstag, April 29, 2008

Wilco - Sky Blue Sky

Wilco - Sky Blue Sky

(2007 / Nonesuch Records / 2 x 12" Vinyl & 1 CD)

Wenn man Artikel über Wilco liest oder sich mal mit den gesammelten Leidenswegen der Band bzw Bandchef Jeff Tweedy auseinandersetzt, kann man sich schon etwas wundern. Vierzigjährige Zwangsneurotiker, unfähig eine gesunde Bandchemie herzustellen oder Suchtprobleme in den Griff zu kriegen. Sind Wilco die teenage angst Band für erwachsene Americana-Liebhaber? Normalerweise erwartet man ja gesetzte Flanellhemdenträger an Slide-Gitarren...Kein Wunder, dass es für die Journallie hier viel zu holen gibt. Verständlich und umso sympathischer wenn Tweedy eventuelle Fragen zur Tablettensucht, Depressionen usw. zur Seite schiebt und lieber über den Studioalltag, neueste Studioexperimente und minutiös darüber berichtet, wie Drummer Glenn Kotche dieses oder jenes Geräusch erzeugt hat. Und hier wird es interessant: denn Wilco sind eine der wandlungsfähigsten Band dieser Tage und auch wenn nicht Jeder den bisherigen Weg und die Entwicklung vor allem auf den letzten Alben nachvollziehen möchte, haben sie inzwischen einen absoluten Ausnahmestatus erreicht. Selten so eine dynamische, perfekt eingespielte Band live gesehen. Selten so klar schimmernde, mitreissende Alben wie die letzten Drei Yankee Hotel Foxtrott, A Ghost is born und Sky Blue Sky gehört. Und um beim Letztgenannten anzusetzen - man hat das Gefühl Großmeistern zuzuhören die die Güte haben uns bei einem ihrer genialen Jams zuhören zu lassen. Und war der Vorgänger A Ghost is born stellenweise sehr widerborstig und ausgefranst (Geschmackssache...Ich finds toll), kann sich heute wieder Jeder auf Wilco einigen...Geht das gut?

Und was macht überhaupt diese Erhabenheit aus? Das schneeweiße Artwork? Der bedachte Umgang mit den Instrumenten? Die perlenden Gitarrenläufe? Die fast jazzigen Drums? Fast alle Antworten gibt es am Anfang des Albums mit Either Way. Hier entscheidet sich außerdem ob man Wilco einfach langweilig findet oder eine neue Lieblingsband entdeckt hat. Ein so reduzierter Song der nebenbei alle Stärken der Band - neben Tweedys Gesang sind das vor allem Kotches Drums und Nels Clines atemberaubende Gitarreneskapaden - auspielt, gab es im Wilco Universum selten. Weiter gehts mit You are my Face, einem Stück, dass einen tatsächlich den miesepetrigen Tweedy von vor ein paar Jahren vergessen lässt und das Album erstmal von Grund auf auflockert. Impossible Germany geht dann erstmal wieder einen Schritt zurück Richtung Vorgängeralbum und ist trotzdem meilenweit vom Stil der älteren Alben wie z.B. Being There entfernt. Schon eher darauf gepasst hätte der Titelsong, ein eher bedächtiger Schunkler mit schönem Gitarrensolo. Sehr gut, aber das soll die Band sein die Spiders (Kidsmoke) geschrieben hat...?! OH! Jetzt erstmal Side with the Seeds! Eines der absoluten Highlights! Nicht nur Tweedy erreicht hier mit seinem lennon'esken Gesang neue Maßstäbe auf seiner Skala, vorallem Cline ist es, der den Song in seinem Mittelpart gänzlich auseinanderschrubbelt und ihn den Rest der Band mit hämischem Grinsen wieder zusammensetzen lässt. Bitte nie vergessen: Mike Jorgensen der diesen Song mit warmen Piano Akkorden, andere Teile des Albums mit strangen Orgelsounds unterlegt und dem Ganzen irgendwie seine ganz eigene Note gibt!

Jetzt erstmal Pause. Oder Shake it off, noch so ein schmieriger Rocker eigentlich, doch die Band spielt ihn mit so einer liebevollen Ironie, dass man sie dafür lieben muss. Ein bischen zuviel des Guten auf LP #2 sind dann jedoch Hate it Here und Walken, beide mit starken 60s Einschlag. Live zwar absolute Highlights, auf dem Album jedoch leider etwas trivial zusammengerockt. Kürzere Gitarreneinsätze stehen der Band da schon besser. Sieht man z.B. beim absolut genialen Leave me (like you found me)! Eine grundsolide Tweedy-Folk-Komposition - aber wie hier von Cline plötzlich in der Bridge die Akzente gesetzt werden ist einfach nur ganz groß. Genau wie What Light, ein Song der vielleicht am wenigsten mit Wilco als Band und am meissten mit ihrem Sänger als Soloartist zu tun hat (...und natürlich mit den Beatles). Als Closer gibts das etwas ätherische, aber durchaus wachsende On and On. Und was bleibt? Man muss festhalten, dass Wilco einen Großteil ihrer Emotionalität geopfert und dafür einen wahnsinnigen Bandsound gewonnen haben. Die Texte fast aller Songs sind fast etwas zu nichtssagend, singen sich an einem vorbei - die Schrulligkeit der letzten Alben bleibt leider außen vor. Musikalisch gesehen kriegt man dafür eine Band die genau da ist wo sie hinwollte und das auch zeigt (man höre auch das tolle, in gleicher Bandbesetzung entstandene Livealbum Kicking Television: Live in Chicago), Produzent Jim O'Rourke sowie die gemeinsamen Touren mit Sonic Youth hatten aber eher auf den Vorgänger Einfluss. Sagen wir mal so: Sky Blue Sky ist das Teil, das das Puzzle komplett macht - dass das Bild große Kunst ist, konnte man aber schon vorher erkennen. Und obwohl ich mich im direkten Vergleich für den Vorgänger A Ghost is born entscheiden würde (das packt einen einfach mehr!), überstrahlt dieses Album als eine Art Resumee das gesamte Wilco-Schaffen und kommt dafür gleich auf Platz 2 (oder 3...) meiner Wilco-Insel-Liste. Den Rest wird die Zeit zeigen...unbedingt jetzt schon anhören! Was natürlich die Wertung einigermaßen schwierig macht...

Weniger schwierig die Wertung des Vinyls, ich hab die Ausgabe ja auch schon in den Jahrescharts als großartig angepriesen. Die Perfektion wird bei der Vinylausgabe auf jeden Fall weitergeführt. Zwei 180gramm Scheiben, ein Textblatt, schweres Gatefold-Cover mit einem tollen Studiofoto in der Mitte. Absolut perfekte Pressung. Und als Bonus ist das ganze Album nochmal als CD beigefügt (ich liege mit meiner Vermutung wohl richtig: die ist dafür da, dass man das tolle Vinyl nicht abnutzen muss). Auf jeden Fall gilt hier: besser geht es (fast) nicht!

Rating - 8 / 10
Vinyl-Rating - 9,5 / 10

- CGV -

2 Comments:

At 1:06 PM, Blogger damospace said...

Tolle Kritik... Was mich angeht, habe ich die Musik von Wilco erst vor ein paar Tagen entdeckt. Unglaublich aber wahr !

 
At 12:13 PM, Blogger Clear Green Vinyl said...

Ich kenn sie schon ein bischen länger, seit Yankee Hotel Foxtrott! Ich muss dafür allerdings mal wieder meiner Freundin, der alten Spürnase, die Schuld geben :-) Wir beide haben sie auch letztes Jahr hier im Dresdner Schlachthof gesehen und was soll man sagen...? Konzert des Jahres!

 

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